Nepal 2023

Vor einigen Jahren, noch bevor die Pandemie uns alle mit einer neuen Realität konfrontierte, sprachen mein Vater und sein Schulfreund Jürgen über eine gemeinsame Reise. Ein Abenteuer sollte es werden, etwas Großes, an das sie sich erinnern würden und das sie jetzt noch machen könnten, aber vielleicht nicht mehr in ein paar Jahren. Ich weiß nicht mehr wer von den beiden die Idee zuerst aussprach, aber irgendwie kamen sie auf das Basecamp des Mount Everest. Sie wollten beide den höchsten Berg der Welt sehen, der angeblich so majestätisch und beeindruckend über allem thront. Die Spitze des Himalaya, das Dach der Welt.

Natürlich sagte ich ihnen sofort was für eine schwachsinnige Idee es sei in ihrem Alter so eine Reise zu unternehmen. In diesen Höhen kann es schnell zur Höhenkrankheit kommen, ein Lungen- oder Hirnödem können auftreten und ein einfacher Fehltritt mit einer Knöchelfraktur im Hochgebirge in dem es weder Autos noch Flugzeuge oder einen Rettungsdienst gibt, kann fatale Folgen haben. Ganz klar: in diesem Alter eine solche Reise ohne medizinische Begleitung zu unternehmen war viel zu gefährlich. Also erklärte ich mich- altruistisch wie ich eben bin- bereit die beiden zu begleiten.

Dann machte uns Corona jedoch einen Strich durch die Rechnung und die Pläne wurden erstmal auf Eis gelegt. Als sich in 2022 endlich ein Ende des Albtraums abzeichnete und die meisten Länder ihre Grenzen nach und nach wieder öffneten, brachte ich die Idee noch einmal auf. Schließlich wollte ich die beiden bei ihrem Traum unterstützen. Kurz wurde überlegt, geplant und recherchiert, dann stand die Entscheidung: wir wollten im Oktober 2023 nach Nepal reisen und einige Wochen im Hochgebirge verbringen. Da das Everest Basecamp das beliebteste Trekkingziel des Himalaya ist und uns Berichte von überlaufenen Wanderwegen etwas abschreckten, entschlossen wir uns nach Rücksprache mit einem Reisebüro aus Kathmandu eine etwas abgewandelte Route zu planen: wir wollten die Drei Pässe Route nehmen. Diese führt von Lukla zunächst über Namche Bazar genau wie der Everest Basecamp Trek hinauf in Richtung Gletscher. Allerdings folgten wir ab Dingboche zunächst dem Gletscher nach Osten ins Chukhung Tal, wo wir den Chukhung Ri bestiegen, um anschließend über den Kongma La Pass wieder zurück zum Gletscher des Everest zu gelangen und weiter nach Norden in Richtung Basecamp zu wandern. Dort angekommen wollten wir weiter Richtung Osten über den Cho La Pass zum Gokyu See gelangen und anschließend über den Renjo La Pass nach Lungden zu gelangen von wo aus wir den Weg zurück in Richtung Namche Bazar und schließlich Lukla nehmen wollten. Für diese Tour hatten wir drei Wochen angesetzt.

Einige Monate zuvor musste sich Jürgen allerdings einer OP an der Hüfte unterziehen. Dank viel Physiotherapie und seines stählernen Willens kam er jedoch rechtzeitig wieder in Form um die Reise antreten zu können.

Nach zwei Tagen in Kathmandu bestiegen wir unser Flugzeug nach Lukla. Dies war bereits das erste Abenteuer, ist doch Lukla als gefährlichster Flughafen der Welt bekannt. Aufgrund der Berge ist ein Flug hier nur auf Sicht möglich. Auf die Instrumente können sich die Piloten nicht verlassen. Schlechte Sicht bedeutet also zwangsläufig immer eine Sperrung des Flughafens, z.T. für mehrere Stunden oder auch Tage. Da die Landebahn sehr kurz ist, ist sie den Hang hinauf gebaut. Dies ermöglicht beim Landen ein schnelleres Abbremsen und beim Abfliegen eine bessere Beschleunigung. Der Nebeneffekt ist jedoch auch, dass ein Landeversuch nicht durch Durchstarten abgebrochen werden kann, da hinter der Landebahn die Felswand wartet und ein Startversuch bei nicht ausreichender Geschwindigkeit in einem Abstürzen die Klippe hinunter endet.

Die Landebahn von Lukkla

Wir genossen den kurzen Flug jedoch absolut. Es war das erste Mal, dass wir die Berge des Himalaya so nah und so hoch aufragend vor uns sehen konnten und wir freuten uns bereits auf die bevorstehenden Wochen. Direkt nach der Ankunft machten wir uns auf den Weg die Berge hinauf. Lukla liegt bereits auf 2800m und man spürt wie dünn die Luft hier ist. Mit unserem Guide und den Trägern hatten wir jedoch ein motiviertes und erfahrenes Team und die Route ins Gebirge war mit mehreren Akklimatisationstagen und machbaren Tageszielen geplant.

Als wir kurz vor Namche Bazar waren, lösten sich die Sohlen meiner geliebten Bergstiefel ab. Während der Reiseplanung hatte ich noch überlegt mir neue Sohlen aufziehen zu lassen, hatte mich aber wegen des noch brauchbaren Profils dagegen entschieden. Leider waren diese Schuhe bereits einige Jahre alt und der Kleber verabschiedete sich. Ich stand also bald fast ohne Sohle da. Zum Glück bietet Namche Bazar alles was das Wander- und Kletterherz begehrt. Man mag es nicht glauben, aber hier findet man auf fast 4000m Höhe neben Bars, Billardtischen und Souvenirshops, sämtliche professionelle Kletterausrüstung, die man sich nur wünschen kann. Selbst die großen Expeditionen decken sich hier noch einmal mit allem ein was sie eventuell vergessen haben, bevor es ins Hochgebirge geht. Ein Reparieren meiner Sohlen war leider vor Ort nicht möglich, aber zu meinem Glück fand ich tatsächlich das exakt gleiche Paar Schuhe in genau der richtigen Größe. Keine Angst also, dass die neuen Schuhe irgendwo drücken würden und ich mich mit Blasen den Berg hochquälen müsse. Jetzt konnte es also endlich richtig losgehen.

Ins Hochgebirge wird alles getragen. Entweder von Yaks oder von den Portern, die sich damit ihren Lebensunterhalt verdienen.

Je höher man im Himalaya steigt, desto schöner werden die Berge. Es gibt keine Autos, keine Flugzeuge, keine Busse oder hektische Menschenmengen. Man ist nur darauf konzentriert weiter zu laufen und die Berge zu bestaunen, die sich vor einem in den Himmel türmen. Mit jedem Höhenmeter wird es anstrengender. Auf 5000m Höhe ist nur noch ungefähr halb so viel Sauerstoff in der Luft vorhanden wie auf Meereshöhe. Das spürt man deutlich. Trotz aller Akklimatisation. Wir kämpften uns also immer höher. Den höchsten Punkt erreichten wir dann am Chukung Ri, der stolze 5550m misst. Von hier hat man in Richtung Süden eine wahnsinnige Aussicht auf den Ama Dablam, der auch als das Matterhorn des Himalaya bezeichnet wird. Für mich ist es definitiv der schönste Berg dieser Gegend. Wie gemalt ragt er über dem Gletscher hinauf.

Der Ama Dablam, der schönste Berg des Himalaya.

Im Norden kann man den Lhotse bestaunen, den vierthöchsten Berg der Erde, der noch einmal 3000m über einem steil nach oben zeigt. Da im Oktober meist sehr gutes Wetter herrscht und die Luft nach den Monsunregen der letzten Monaten fast frei von Staub ist, hat man eine unglaublich weite Sicht. Dazu kommt die dünne Luft. Vom Gipfel des Chukung Ri hat man das Gefühl das Massiv des Lhotse fast greifen zu können. Im Nachhinein war ich jedoch völlig perplex, als mir mit der Karte klar wurde, dass der Gipfel noch immer fast sieben Kilometer Luftlinie entfernt war. Diese Dimensionen sind schwer zu begreifen.

Nachts kann man dann wunderschön die Sterne bestaunen und so gelang es mir ein Panorama der Milchstraße zwischen Ama Dablam und Lhtose zu schießen. Anschließend ließ ich die Kamera über Nacht alleine eine Zeitrafferaufnahme schießen während ich mich wieder ins Bett legte. Da hier so wenig Menschen unterwegs sind hatte ich keine Angst, dass ich die Kamera am nächsten Morgen nicht mehr antreffen würde.

Bei einer Zeitrafferaufnahme macht die Kamera kontinuierlich Fotos hintereinander, die man dann am Computer zu einem Film zusammensetzen kann. Dadurch entsteht der Effekt eines stark vorgespulten Videos wie oben beim Ama Dablam. Leider vermasselte ich vor lauter Kälte eine einzige Einstellung wodurch ich die Bilder hinterher nicht zu einer einzigen Aufnahme zusammensetzen konnte. Eigentlich wollte ich gerne die einzelnen Bilder übereinander legen und sogenannte Startrails erzeugen. Diese zeigen die Bewegung der Sterne im Laufe der Nacht und sind eine schöne Möglichkeit die Erdrotation in einem Foto darzustellen. Im folgenden Video kann man aber erahnen was ich meine.

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Die Milchstraße zwischen dem Ama Dablam (links) und dem Lhotse (rechts). Dazwischen unsere Unterkunft

Über den Kongma La Pass ging es dann wieder zurück in das Tal des Everest Gletschers. Vorbei an wunderschönen Bergseen, die von kleinen Blumen gesäumt sind, ging es immer höher hinauf. Dieser Tag war mit Abstand der anstrengendste Tag unserer Tour. Der Pass misst an seiner höchsten Stelle ebenfalls stolze 5540m. Doch mit dem Überqueren des Passes ist es noch nicht getan. Man muss hinterher den Pass wieder hinabsteigen, dann den Everestgletscher überqueren und dem Tal noch einige Kilometer in Richtung Norden folgen. Ganze zehn Stunden waren wir an diesem Tag unterwegs und fielen abends fast tot ins Bett.

Blick vom Kongma La Pass in Richtung Osten

Doch nun war das Everest Basecamp bereits in greifbarer Nähe. Ein letzter Marsch und man erreicht Das Everest Base Camp auf 5364m Höhe. Hier geht es jedoch zu wie auf einem Rummel. Sämtliche Touristen wollen ein Foto mit dem berühmten Stein machen. Ob sie nun selbst den weg hierher gelaufen waren oder sich von einem Pferd haben tragen lassen. Alles was zählt sind die Fotos, die man am Ende mit nach Hause bringt um den eigenen Erfolg zu dokumentieren. Schon ein absurder Anblick das Ganze.

Was mich jedoch viel mehr interessierte war der Aufstieg auf den Kala Patthar, der dem Everest genau gegenüber liegt. Von diesem hat man nämlich den besten Blick auf den Everest. Vom Basecamp kann man die Spitze tatsächlich gar nicht wirklich sehen. Die meisten Touren besteigen den Kala Patthar früh morgens. Dies hat jedoch den Nachteil, dass die Sonne hinter dem Everest steht. Ich wollte jedoch die letzte Abendsonne auf dem Everest sehen und zudem versuchen ein Foto mit der Milchstraße im Hintergrund zu schießen. Also beschloss ich mich trotz des anstrengenden Tages noch einmal aufzuraffen und den Berg hinaufzulaufen. Mein Vater und Jürgen hatten jedoch kein Interesse und so machte ich mich mit unserem Guide alleine auf den Weg. Dieser schien mein Anliegen jedoch nicht ernst genommen zu haben, dass ich nach Sonnenuntergang noch bleiben wollte. Er hatte nämlich nur eine dünne Softshelljacke dabei und keine Handschuhe. Ich schickte ihn also als die Sonne gerade untergegangen war wieder zurück ins Camp und sagte ihm ich würde eine Stunde später folgen. Der Weg war zum Glück einfach und man konnte sich nicht verlaufen und es wurde schnell dunkel, sodass bald die Sterne zu sehen waren.

Die letzten Sonnenstrahlen auf dem Mt. Everest

Nach und nach verließen die letzten Wanderer den Berg bis ich schließlich ganz allein in der Dunkelheit war. Was für ein Erlebnis! Um mich herum nur die Berge und die Geräusche des Eises. Ab und an hörte ich eine Lawine von den Gipfel abgehen. Ein Glück befand ich mich weit entfernt von den nächsten Schneefeldern und mir drohte daher keine Gefahr.

Als dann endlich die Milchstraße zu sehen war, fotografierte ich was das Zeug hält und mir gelangen einige sehr schöne Aufnahmen.

Die Milchstraße über dem Mt. Everest. Rechts neben der Milchstraße ist leuchtend die Andromeda Galaxie zu erkennen.

Über das Fotografieren vergaß ich jedoch völlig die Zeit und musste mich dann stark sputen. Auf halbem Weg kam mir unser Guide entgegen. Er hatte den ganzen Abend den Berghang beobachtet und weil er kein Licht gesehen hatte (ich wollte ja schließlich die Sterne fotografieren), machte er sich Sorgen, dass mir etwas zugestoßen sei. Also kam er noch einmal den Berg hinauf um mich zu suchen. Der arme Kerl. Das war nun wirklich nicht meine Absicht. Er war jedenfalls unglaublich erleichtert als er ich ihm völlig unversehrt entgegenkam.

Da mann auf 5000m Höhe extrem schlecht schläft und die trockene Luft zudem sehr anstrengend zu atmen ist waren wir drei nun nach inzwischen 10 Tagen in der Höhe alle erkältet. Durch die ständige Belastung wurde diese nicht besser. Daher entschlossen wir uns nach eingehender Überlegung unsere Tour abzubrechen und auf die zwei andern Pässe zu verzichten. Es war einfach ein zu hohes Risiko, dass wir durch die ständige Anstrengung und die Höhe ernsthaft krank werden würden. Schweren Herzens machten wir uns also daran wieder an den Abstieg.

In Lukla hatten wir dann jedoch einige Probleme mit den Flügen. Das Wetter war schlecht und die Mehrzahl der Flüge wurde abgesagt. Zudem hatten wir unseren Flug erst für eine Woche später gebucht und standen daher nur auf der Standby Liste. Nachdem zwei Tage ins Land gezogen waren, ohne dass sich etwas tat hatten wir das Glück an einen Helikopter zu geraten mit dem wir nach Kathmandu zurückfliegen konnten. Was für ein schöner Abschluss mit dem Helikopter über die Täler zu gleiten!

Das Himalaya war ein unglaubliches und wunderschönes Erlebnis und ich werde definitiv wiederkommen. Ich möchte unbedingt noch die beiden letzten Pässe bezwingen. Auf dieser Route kann man nämlich den Gokyu Ri besteigen von dem man einen atemberaubenden Blick auf den Gokyu Lake und die umgebenden Berge hat. Wenn man zu Sonnenuntergang hier hinaufsteigt kann man gleich mehrere 8000er in der Abendsonne schimmern sehen. Und wenn man im Dezember dorthin geht, sieht man mit etwas Glück sogar die Geminiden Sternschauer über den Bergen vorbeiziehen…


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Guatemala 2023